Authentizität im Tanz – was bedeutet das?

Das Wort „Authentizität“ wird in letzter Zeit im Social Dance ziemlich strapaziert und sehr gerne verwendet. Zu Recht?
Es steht mir nicht zu, hier zu behaupten, was Recht und was Unrecht ist. Aber so viel kann ich bestätigen, dieses Wort höre ich in den letzten Jahren immer öfter und immer mehr als Urteil oder als ein Kriterium, ob jemand gut oder schlecht tanzt.

Was bedeutet dieses Wort „Authentizität“ aber in Wirklichkeit?
Man könnte stattdessen sagen: original, echt, ursprünglich. Es kommt vom griechischen Ursprung „authentikos“, das bedeutet eben original, primär bzw. Author, Authorität…

Und was bedeutet Authentizität im Bezug auf den Tanz? 
Die meisten verwenden es als Urteil, ob der Look eines Tanzstiles „echt“ ist. Ob jemand dem Ursprung des Tanzes entsprechend tanzt, sich so bewegt, bzw. die „arttypischen“ Figuren tanzt… Was auch immer das alles wieder bedeuten mag… 🙂

Ich finde, es lässt viel Raum für Interpretation… Und Diskussion… Wenn man eine Muse dazu hat…
Ich habe keine… 😬

Durch ein Gespräch gestern Nacht mit unserer Mitarbeiterin Lisa, die seit 8 Jahren bei uns ist, sind uns ein paar Sachen diesbezüglich noch klarer geworden… Sie kennt uns seeehr gut (manchmal besser als wir uns selbst😀) und hat uns wieder einmal die Augen geöffnet und mit eigenen Worten dargestellt, wie sie unsere Tanzphilosophie sieht. Das war sehr erfrischend. Danke, Lischen! ❤️

Wir haben viele Tanzstile in die Tiefe erforscht und je mehr wir über jeden Stil erfahren, desto mehr gibt es zu entdecken. So sehr wir versuchen der Essenz eines jeden Tanzes näher zu kommen, so klarer wird es uns auch, dass all diese Tanzstile, Looks, Bewegungen und Skills miteinander „kommunizieren und sich austauschen“.

Dann kommt eine Frage auf: Will man es zulassen, dass ein Tanzstil, den man gerade akribisch lernt, von einer „fremden“ Bewegung oder einer „artfremden“ Idee wie z.B. einer anderen Möglichkeit des Lead and Follows  beeinflusst wird? Verliert der Tanzstil dadurch seine Authentizität?

Jetzt kommt die unbeliebteste Antwort aller Zeiten: ES HÄNGT DAVON AB! 😀

Jeder Tanzstil hat so seine Säulen, die ihn ausmachen, die dem Tanzstil die Struktur, Look, Feel, Stimmung und Charakter verleihen. Aber diese Säulen sind hauptsächlich durch die Musik bestimmt, oder nicht?
Nehmen wir den West Coast Swing… Wie viele Gesichter hat denn dieser Tanz? Ich würde sagen mindestens so viele, wie die Musikrichtungen, zu denen man gerade tanzt. Klassischer Blues  oder sanfte Akustik, Lyrical, sehr schnelle Contemporary, sehr langsame Balade… Und dann kommen noch die Interpretationen von den TänzerInnen selbst… Und was ist da authentisch? Wer soll das bestimmen?
Aber es gibt auf jeden Fall ein paar Faktoren, die einen Tanz im allgemeinen charakterisieren, und die will man zumindest am Anfang des Erlernens  „respektieren“ und sie als gewisse Anleitung, Inspiration und Unterstützung benutzen.

Unsere Herangehensweise kann man mit einem Vergleich ausdrücken… Ich liebe Vergleiche und Metaphern. 😉

Wir versuchen unseren TänzerInnen in der Tanzschule nicht den Dialekt einer Sprache zu vermitteln, sondern eine klare Sprache (so etwas wie Hochdeutsch), die man in mehreren Regionen verstehen kann. Wir finden, dass man den Dialekt danach immer noch annehmen kann, aber umgekehrt es eher schwerer und mühsamer ist…

Mit anderen Worten, wir haben einen ganzheitlichen Zugang zum Social Dance im Allgemeinen und versuchen die Wurzel, den Baumstamm, die Zweige und die Blätter zu sehen und voneinander zu unterscheiden. Wir sehen die verschiedenen Tanzstile mit ihrem authentischen Look & Co. eher als Zweige und den SOCIAL DANCE generell als Baumstamm mit den Wurzeln. Uns persönlich fehlt etwas, wenn wir nur den Zweig ohne Baum betrachten.

Damit will ich sagen, dass heutzutage in dem Informationsalter, in dem wir leben, wenig „rein“ bleibt. Alles ist in irgendeiner Form von unzähligen anderen Informationen und Faktoren beeinflusst. Und diese wiederum verändern sich schnell. Die Veränderung kann man nicht aufhalten. Alles entwickelt sich weiter und erlebt eine Symbiose mit anderen „Arten“… Es ist in der Natur dieser Zeit, in der wir leben.

Ist das jetzt für den Tanz gut oder schlecht?
Es ist egal!
Denn, es ist komplett subjektiv und jedem überlassen, sich selbst seine Meinung darüber zu bilden.

Jeder hat den Wunsch authentisch zu tanzen. Conny und ich auch. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, es wäre mir egal, ob es „echt“ aussieht. Aber man kann es in dieser Authentizität auch schnell übertreiben und sich zu sehr für andere Einflüsse verschliessen und dadurch viel Gutes und Interessantes verpassen.

Diese Authentizität kommt oft von den Schlüsselpersönlichkeiten, die einen Tanzstil besonders geprägt haben. Hier ein paar Beispiele, zu denen es natürlich noch mehrere gibt. Im Lindy Hop ist es Frankie Manning, im Salsa Eddie Torres, im Tango Carlos Copes im Ballroom Walter Laird, um nur ein paar von ihnen zu nennen. Das sind alles fantastische Tänzer, die die Weichen ihrer jeweiligen Tanzstile gestellt haben. An ihnen hat man sich orientiert. Wenn es so aussieht, wie sie den Tanz gesehen und gelebt haben, war und ist es gut. Sonst… eher nicht…

Manchmal werden Persönlichkeiten jedoch auch sehr glorifiziert und ihr Tun wird auf einen unantastbaren Thron gestellt, sodass alles „andere“ als schlecht dargestellt wird.

Wir möchten hier niemanden dieser fantastischen TänzerInnen etwas absprechen, denn wie schon oben erwähnt haben sie oft die Weichen gestellt und waren Genies in ihrem Bereich. Aber wenn man es mal ein wenig anders betrachtet, waren es oft genau diese Persönlichkeiten, die einen Tanz komplett neu erfunden, einen neuen Look oder eine neue Richtung verpasst haben. 😉

Z.B. ein kleines Detail… Frankie Manning war einer der ersten, der die Aerials auf dem Social Dancefloor eingeführt hat (die wilden Lifts über Kopf). Also hat auch er den grundsätzlichen Look des ursprünglichen Tanzes komplett verändert, oder?
Ist das authentisch?
JA!
Für Frankie Manning! Denn, authentisch heisst auch, dass man sich selbst treu ist und, dass man sich nicht verstellt. Aerials waren einfach sein Ding. Punkt!

Bitte jetzt nur nicht falsch verstehen. Ich bewundere all diese erwähnten Tänzer und Duzende mehr. Ich schaue mir dauernd Videos von meinen „Lieblingen“, ihre Moves, ihre Art sich auszudrücken.
Diese Persönlichkeiten sind wahnsinnig faszinierend und inspirierend. Aber da ist für mich auch Ende. Oder besser gesagt Anfang… Anfang von meiner eigenen Interpretation des „Echten“… Anfang von meinem eigenen Ausdruck, von meiner Authentizität.

Ich passe den Look des Tänzers, der mich inspiriert an meinen Stil an, nicht umgekehrt.

Ich brauche keinen Propheten, der mich leitet und mir jeden Meter meines Weges bestimmt. Ich will meinen Weg im Social Dance gehen. Oder besser gesagt unseren. 😀Und dieser Weg darf von vielen mitgestaltet werden, aber Conny und ich haben das Steuer in der Hand. Und jeder andere auf seinen Weg auch…

Authentizität im Tanz ist eine tolle Sache, aber es ist für uns eher ein Richtwert, eine Empfehlung, eine Inspiration, ein Input.
Keine Religion. Kein Dogma. Kein Gesetz. Kein Gruppenzwang.

Wir lehren jeden Social Dance so, dass man sich miteinander möglichst angenehm und harmonisch bewegen kann. Das ist unsere Priorität!

Alles andere kommt danach und damit auch Authentizität und Look. Wir stehen dazu. Wir sagen damit nicht, dass es unwichtig ist. Aber es ist auch nicht das Wichtigste.
Wir versuchen, jedem die Tools zu geben, seinen eigenen Stil und SEINE EIGENE AUTHENTIZITÄT zu finden. Und diese Tools sehen wir in der Verbindung zur Musik und zum Tanzpartner bzw. Tanzpartnerin. Deswegen ist für uns einer der wichtigsten Schlüsseln im Social Dance, die Fähigkeiten zu schulen, das Lead and Follow und somit das harmonische Miteinander in allen Tanzstilen umsetzen zu können.

Genauso sehen wir diesen Blog auch. Es ist eine Art Richtwert, Information, Inspiration, Input, Meinung. Nicht mehr, nicht weniger.

Also ja, wir zelebrieren die Harmonie im Tanz. Dieses Bedürfnis nach Harmonie hat uns in unserer Persönlichkeit, unserer Beziehung, unserem Unternehmen, unseren Projekten und in unserem Leben überhaupt bestärkt und uns zu dem gemacht hat, was wir heute sind. Und wer wir heute sind, kann sich morgen auch ändern. Weil wir dafür offen sind und gespannt sind, was alles noch auf uns zukommt. Das macht unser Leben viel freier und interessanter… und authentisch auch! 😉

Was ist deine Interpretation der Authentizität?
Wie gehst du mit diesem empfindlichen Thema um?
Wie wichtig ist das für dich?

Wir sind wie immer sehr gespannt auf die Meinungen der Social Dance Community…

Be authentic to yourself, 😀

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