Genderwahn im Tanz?
Ich weiß, dieses Thema ist heikel, aber es beschäftigt mich schon lange.
Anlässlich der Neukonzipierung unserer Datenbank und einiger interessanter Diskussionen im Unterricht wurde das Thema wieder aktuell.
Nun ist die Zeit reif, darüber einen Artikel zu schreiben – vor allem deswegen weil mich auch deine Meinung dazu interessieren würde.
Der Titel des Artikels ist provokant…JA…weil mir wichtig ist, dass viele diesen lesen und ihre Meinung dazu äußern.
Unsere Tanzschule steht für Offenheit, für Gleichberechtigung (ob Mann, Frau, drittes Geschlecht oder einfach Mensch), für Inklusion, für Tanzen als Dialog und, und, und…
Gerade deswegen ist es mir ein Anliegen, dass du diesen Artikel nicht falsch verstehst, sondern als Grundlage für eine Diskussion siehst.
Heutzutage ist es „gefährlich“ im Unterricht von Mann und Frau zu sprechen – denn es werden nicht mehr das Geschlecht benannt, sondern die Rollen im Tanz – Leader und Follower oder auf Deutsch der/die Führende und die/der Folgende.
Sprache gestaltet das Mindset und mit diesen Begriffen soll auch gleichgeschlechtlichen Paaren oder Paaren, die die Rollen getauscht haben, bzw. Menschen, die dem dritten Geschlecht angehören, der Besuch eines Tanzkurses offen und angenehm gestaltet werden.
Auch wenn mir persönlich das Gendern von Begriffen nicht so wichtig ist – ich sehe mich sowohl als Tänzer als auch als Tänzerin oder war leidenschaftlicher Student 😉 – so verstehe ich, dass es Menschen gibt, für die Sprache sehr wichtig ist, um ein Wohlgefühl und Wertschätzung empfinden zu können.
Nun stehe ich aber vor einer Frage: Für mich hat Tanz nicht nur mit Moves, Technik, Austausch etc. zu tun sondern auch mit dem Spiel von unterschiedlichen Energien – vor allem mit der weiblichen und männlichen – in manchen Tänzen mehr und in manchen weniger.
Ich habe auch einige Gespräche mit homosexuellen Paaren geführt. Manche von ihnen lieben den Tanz mit ihrem Partner bzw. Partnerin und manch andere wiederum brauchen im Tanz einen andersgeschlechtlichen Partner, weil sie gerade diese unterschiedliche Energie im Tanz genießen.
Wie ist es nun möglich, genau das, was ich so schätze, auch im Unterricht einfließen zu lassen ohne dabei jemandem „auf dem Schlips“ zu treten.
Darf ich noch von dem Spiel zwischen Mann und Frau sprechen oder beleidige ich damit denjenigen, für den das nicht zutrifft?
Muss ich den Tanz „neutral“ werden lassen, damit sich jeder darin finden kann. Und wie können wir dann unsere persönliche Präferenz weiter geben bzw. dieses Spiel zwischen den Partnern trotzdem vermitteln?
Vor allem die Tanzpartnersuche ist mittlerweile ein heikles Thema, dem wir nicht mehr ganz Herr werden.
Zu diesem Thema nun ein kleiner Auszug aus unserer Datenbankdebatte – wie in Zukunft eine Online Anmeldung möglich sein wird – was sollte beachtet werden?
Man kann sich nun bald als Leader bzw. Follower anmelden, muss aber dabei trotzdem sein Geschlecht angeben – warum?
Weil es z.B. Damen gibt, die als Follower tanzen möchten, aber nur mit einem männlichen Leader. Dann gibt es Damen, die als Follower mit einem weiblichen Leader und die als Leader mit einem weiblichen Follower den Kurs besuchen möchte.
Die gleiche Beschreibung gibt es nun für Herren und für das dritte Geschlecht.
Für uns einfach unmöglich, sowohl die Rollen als auch das Geschlecht sowie die Tanzwünsche (Stile) und das Tanzlevel bei der Tanzpartnersuche berücksichtigen zu können.
Dann müssten wir eine eigene Agentur aufmachen…
Mir ist es wichtig noch einmal zu erwähnen, dass eine Selbstorganisation von Tanzpartnersuchenden überhaupt KEIN Problem darstellt, denn jede unterschiedliche Paarung ist im Kurs herzlich willkommen.
Einen Tanzpartner bzw. eine Tanzpartnerin unter den genannten Faktoren „zu bestellen“ ist einfach eine komplexe Angelegenheit und für uns fast nicht mehr zu organisieren.
Vor kurzem war eine Dame sogar echauffiert darüber, dass wir ihr keine andere Dame als Tanzpartnerin finden konnten. Denn es war für sie ausgeschlossen, mit einem Herrn zu tanzen.
Dazu kommen noch, dass nicht nur das Geschlecht und die Rolle im Tanz passen müssen, sondern der geeignete Tanzpartner bzw. die geeignete Tanzpartnerin sollen natürlich auch noch die „richtige“ Größe, das „perfekte“ Gewicht, ein gepflegtes Äußere, den „gewünschten“ Bildungsgrad und einen exzellenten Charakter mitbringen…puhhh…
Alleine wenn ich das schreibe, fühle ich diesen Anflug von Erschöpfung, der mich in und nach solchen Diskussionen einholt.
Ich persönlich sehne mich nach einer Unkompliziertheit ohne deswegen diskriminierend zu sein.
In unserem Unterricht verwenden wir viele unterschiedlichen Begriffe für ein und dasselbe, um möglichst viele Menschen anzusprechen und verschiedenste Bedürfnisse zu inkludieren. Das fällt uns auch überhaupt nicht schwer, denn es ist uns ein großes Anliegen, das Tanzgeschehen für möglichst viele Menschen zu öffnen.
Auch versuchen wir passend zu der anwesenden Gruppe unsere Worte mit Bedacht zu wählen.
Dennoch ist es immer wieder Thema. Wir finden es einfach manchmal schade, weil dadurch auch der eigentliche Inhalt (Tanz, Spaß, Freude etc.) auf der Strecke bleibt.
Dado und ich leben den Tanz auf unsere Weise, und wir möchten inspirieren und nicht polarisieren.
Doch ist dies in der heutigen Zeit überhaupt noch möglich?
Wie könnte das organisiert werden und welche Faktoren sollten unbedingt berücksichtig werden?
Ich bin sehr gespannt auf deine Gedanken, Ideen, Erfahrungen oder Beobachtungen dazu – vor allem natürlich dann, wenn du dich durch den einen oder anderen Begriff diskriminiert fühlst oder eine Tanzszene aufgrund von fehlender Diversität meidest.
Alles Liebe
Conny