Dies ist ein Gastbeitrag, der sich auf unserem letzten Salsafestival (Magic Slovenian Salsa Festival) ergeben hat. Der Autor ist mein guter langjähriger Freund Vladimir Semencic, der Veranstalter des Rovinj Salsa Festivals (CSSF & SSD), sicherlich eines der bedeutendsten Afro-Latin Festivals weltweit. Es ist auch ein komplett neues Format in diesem Blog, das sich Social Dancing Talk nennt. Wir unterhalten uns mit „Influencern“ verschiedener Tanz – Szenen und tauschen unsere Erfahrungen und Meinungen aus, um unseren Themen mehr Dimension und Profil zu verleihen.
Vladi und ich haben schon immer ähnlich getickt und ähnliche Ansichten über die Tanzcommunity vertreten. Zum ersten Mal haben wir nun eine Facebook Live Session gestartet, in der wir zwei zusammen mit jedem, der interessiert ist, den Ist-Zustand unserer Latin Dance Community zum Thema machten. Die Idee war einfach einen lockeren Talk zu gestalten, in dem wir unsere Sicht der Dinge offenlegen. Live, damit die ganze Community mitreden, mitgestalten, kommentieren und ihre Meinung äußern kann!
Es ist ein kleines Experiment von uns gewesen, dessen Ausgang Vladi, Conny und mir sehr gefallen hat. Wir sind der Meinung, dass man das Thema ganzheitlich betrachten muss, um auch dessen Zukunft bestimmen und in die richtige Richtung steuern zu können. (stay tuned…more to come!)
Was IST die richtige Richtung für die Afro-Latin Social Dance Community?
Das ist wahrscheinlich DIE Frage…
Die Antwort ist vielleicht eher eine Gegenfrage:
Welche Parts der Social Dance Community bereichern und fördern das Leben der Menschen, und was arbeitet dagegen?
Mein lieber Freund Vladi hat dazu eine ziemlich gute Zusammenfassung unseres erwähnten Gesprächs verfasst. Vladi, take it away! 😀
„Talking about … everything“.
Nein, das ist nicht Stephen Hawkings buch über das Schicksal des Universums – wobei – najaaaaa – es kommt dem schon recht nah 😉
Mein bosnischer Freund
Also vor ein paar Tagen beim Salsa Festival in Ljubljana, hat mich ein aaaaaalter freund, Dado aus Bosnien (auf kroatisch würde man Bosanac sagen), gefragt ob ich mit ihm ein kleines live FB interview führen könnte, in dem es um die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in unserer Welt des Latin Social Dance geht. Jap. Genau. Vergangenheit. Gegenwart. Zukunft. Live, auf Facebook. Da hab ich mir fast gedacht ich sag ihm er soll dem netten, oben erwähnten Herren anrufen und mit ihm ein wenig plaudern. Aber oookey.. Dado ist wirklich ein guter Freund, also haben wir beschlossen etwas Spaß zu haben. Wer soll denn schon großartig zusehen, oder?!
Ich hatte gehört es wäre ein „Zirkus“ in der Stadt, also hab ich eine Kristallkugel von deren Wahrsagerin organisiert. Man muss ja ernsthaft bei solchen Dingen sein. Dado machte das Setup der Kamera, Lichter und allem drumherum…Es würde eh nicht funktionieren. Nein. Nicht bevor Conny auf Play drückte und plötzlich waren wir live. 😀
Vergangenheit (unserer Welt des Latin Social Dance)
Naja, nachdem ich schon die letzten 15 Jahre mitten in dieser Welt drinstecke, ist es sehr schwer alles, was bisher geschah genau auseinander zu nehmen und analysieren. Allerdings werde ich ein paar wichtige Punkte erwähnen, die zur Grundlage dieses Gesprächs führen sollten:
- Gestern war die Zeit für Inspiration und Erschaffen
- Die Fundamente wurden geschaffen (Events, Unterricht, Künstler…)
- Die Community war sehr inklusiv, aufgeregt und gierig danach, neues zu lernen und daran teilzuhaben
Ich schätze die neuere Generation könnte sich auf den Kizomba wahnsinn / -bewegung beziehen, welche vor ein paar Jahren als neues Baby in diese Welt geboren wurde, in die gleiche Familie wie Salsa, Bachata etc. Weil es jetzt auch erfahrene Eltern und Geschwister hatte, von denen es lernen konnte, konnte dieses neue Baby sich viel schneller entwickeln als Salsa je konnte. Dennoch, trotz des schnellen Wachstums in der frühen Phase, ist Kizomba immer noch in der Entwicklung und kann die Probleme, die Salsa am Anfang hatte, nicht einfach überspringen; die Probleme, die nach der Inspirationsphase kamen.
So, also ich schätze, um das ganze besser verstehen zu können, werde ich dieser Entwicklung ein menschliches Gesicht geben. Sagen wir mal unsere liebe Welt des Latin Social Dance ist durch die Babyphase durch, jene Phase in der es von allen geliebt und akzeptiert wird, die es zu Gesicht bekommen. Und jetzt… ist das Baby erwachsen geworden.
Die Gegenwart (die Pubertät)
Jetzt ist die Zeit in der wir sehen können wie gut oder schlecht wir als Eltern für unser (afro)latin-social-dance-szene-baby waren. Das Baby ist schon groß geworden und die Dinge stehen nicht so schlecht. Hier ist nur ein kleiner Teil der Guten Dinge, die wir jetzt haben:
- Es ist immer noch die Zeit der Inspiration, Erschaffung und große Ausbreitung
- Eine große und aktive Community, die weiter in Zahlen und in Qualität wächst
- Kizomba und Bachata (zusammengefasst: die Sensual Schiene) hat viel an Bedeutung gewonnen
- Die Szene hat sich professionalisiert – was bedeutet es haben viele Menschen nun ihren Lebensinhalt in unserer Welt gefunden und tragen damit beachtlich zum Wachstum, der Qualität und zu neuen Ideen bei.
- Der Tanz hat sich entwickelt
- Die Qualität des Tanzes und der Bewegung ist allgemein gestiegen
- Neue Ideen und Projekte kommen auf – zum Beispiel weltweite Choreographie-Projekte
- Der Einsatz der Community online und offline hat dramatisch zugenommen (mit etwas Hilfe vom technischen Fortschritt natürlich)
- Interviews, Talks und Seminare – mehr und mehr Beteiligung an der Substanz, an den wichtigen Dingen ist zu sehen – in Seminaren, Interviews, sogenannten „talks“ und mini-Konferenzen, die wichtig sind um aktuelle Themen zu besprechen und lösen, was sich wiederum auf den Antrieb der Industrie auswirkt.
- Das Gesellschaftserlebnis (Parties bei Tag und bei Nacht, Preparties, Afterparties…) haben so viel an Bedeutung gewonnen (wobei das vielleicht daran liegen könnte, dass der Unterrichts-aspekt NOCH nicht nachgefolgt ist)
- Die Event-Produktions-Qualität hat in den letzten Jahren enorm zugenommen
Und nun zu den schlechten Parts (es kann ja nicht immer alles gut sein):
- Das FUNDAMENT, das wir von Gestern haben, ist nicht mehr gut genug. Zum Beispiel: Der Tanzunterricht auf Tanzkongressen geht nicht mit der Zeit, wir haben immer noch das gleiche Prinzip von „workshop hopping“ (Begriff Copyright Dad0), was vielleicht für jene gut ist, die bereits genug wissen haben, um so einen Unterricht zu vertragen, aber für viele Hobbytänzer ist es nicht das Richtige, da sie nur einen Bruchteil davon aufnehmen und verarbeiten können.
- Die Angst vor Größe und Erfolg Ich glaube wirklich daran, dass der Gesellschaftstanzunterricht von heute noch sehr auf Unterhaltung begründet ist. Er hat zur Grundlage das Ziel, den Schülern so schnell wie möglich in der Gesellschaft tanzen zu lassen und verliert dabei die Chance, dem Schüler das Tanzen auf einem tieferen Level näher zu bringen. Er gibt ihm nicht die Chance, die Basics gut zu lernen um so auf lange Sicht bessere Qualität -> zufriedenere -> glücklichere Tänzer und Menschen zu schaffen. Es ist fast als hätten die Lehrer davor ANGST oder wären dazu NICHT IN DER LAGE. Statt ihnen Dinge beizubringen, die ihrem Level entsprechen, geben wir ihnen Tools, mit denen sie noch nicht umgehen können. Zum Beispiel bestehen wir nicht auf Haltung, Connection, Führen und Folgen – die Grundlagen, die zwei Menschen brauchen um miteinander im Guten interagieren zu können. Stattdessen geben wir Ihnen multiple Drehungen, geworfene Hände /Tosses, Körperwellen, Kopf-wellen etc. etc. Die Pyramide steht Kopf. Und das passiert auf allen Ebenen des Unterrichts – von Tanzschulen, lokalen Workshops bis hin zum Internationalen Kongress. Ich glaube, hier ist viel Raum für Besserung.
- Fortbildung für Profis – Mit so vielen Leuten, die nun in der Industrie arbeiten, wovon viele autodidaktisch alles gelernt haben, finde ich sollte es mehr „high-quality“ Fortbildungen für die Profis der Szene geben. Angefangen bei den offensichtlichen: Lehrer, DJs und Organisatoren.
- Kultur – mit dem Wachstum der Community glaube ich, brauchen wir mehr Substanz. Eine besser definierte allgemeine Kultur um das Social- Erlebnis für alle Beteiligten zu verbessern. Zum Beispiel, und das ist nur eine willkürlich zusammengewürfelte Aufzählung: Verhaltensregeln während des Tanzens – eine Art Knigge oder Tanzetiquette, zusätzlichen Unterricht was zwischenmenschliche Interaktion auf der Tanzfläche betrifft (wie man sich in bestimmten Situationen zu verhalten hat etc.) Ich glaube wirklich, dass Tanz die Lebensqualität verbessern kann, auf so viele verschiedene Arten. Zwischenmenschliche Interaktion bedeutet körperliche und emotionale Interaktion. In unserer jetzigen Social Dance Kultur konzentrieren wir uns hauptsächlich auf das Körperliche und vernachlässigen das Emotionale/Soziale – sei es wegen fehlender Zeit oder fehlender Dringlichkeit. Indem wir die Qualität von beiden Aspekten steigern, haben wir eine viel bessere Chance, die Menschen zu erreichen, wir behalten sie länger in der Community und können ihre Lebensqualität steigern.
DIE ZUKUNFT (…sobald die Pickel weg sind)
Also ich schätze, und ich habe Dado das gleiche gesagt (mit einer fast ernsten Miene), meine Auffassung der Gegenwart definiert ganz gut, was ich gerne in der Zukunft sehen würde. Vielleicht wird es nie passieren, aber ich habe doch das Gefühl, dass wenn wir alle hart zusammenarbeiten, wir am Ende eine verantwortungsvolle, erwachsene Person erziehen können – damit meine ich eine Community auf die wir noch stolzer sein können als wir es jetzt schon sind!
Lass es mich noch zusammenfassen:
- Unterricht – lasst uns keine Roboter erschaffen, lasst uns den Leuten zeigen, wie man mental und körperlich tanzt und lasst es ihnen Spaß machen – sie werden uns ihr ganzes Leben lang dafür danken.
- Connection – die Verbindung auf alle Arten und Weisen – zwischen Menschen, Ideen, Händen oder Herzen
- Kultur – lasst uns alle Freunde sein, uns gegenseitig respektieren und lieben (das KANN man lernen, glaubt nicht an irgendetwas gegenteiliges!)
So haben Dado und ich beschlossen unsere kleine Wahrsager-Session zu beenden und wir hoffen es hat euch gefallen, was dabei herausgekommen ist. Natürlich hat der Herausgeber (in diesem Fall ich), sich ein paar Freiheiten herausgenommen und ein wenig den Input ergänzt/gekürzt/verändert, den wir über den FB live Chat aufgenommen haben – nur um es etwas spannender zu machen und um Dado ein wenig Platz für seine Gedanken zu lassen.
Mit der Aussicht auf eine sehr helle Zukunft nehme ich hier Abschied. Genieß es. Tanze. Liebe!
Wie man wahrscheinlich merken kann, ist der Vladi ein toller Kerl mit dem Herzen am richtigen Fleck. Er hat einen ganzheitlichen Zugang zu jedem tanzbezogenen Thema, was seinen Ansichten ein bestimmtes Gewicht gibt, meiner Meinung nach.
Dieser Ausflug war nur ein Anfang in diese Richtung. Vladi und ich wärmen uns erst auf und sind sehr offen für Gespräche mit unseren MittänzerInnen, die das Thema voranbringen könnte und dadurch unsere Community fördern könnte.
Wenn du der Meinung bist, etwas müsste sich ändern und wir alle zusammen sollten die Szene „in die richtige Richtung steuern“, dann teile bitte den Beitrag, damit möglichst viele dadurch sensibilisiert werden.
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