Steht die Tanzcommunity an der Kippe?

Wieso braucht also eine Tanzschule ein Büro?
Das ist eine echte Frage, die uns einmal in der Tanzschule von einem unserer Tänzer gestellt wurde, als er an der Bürotür in der Tanzschule vorbei ging. An der Tür stand ein sehr  provokatives Schild: “Büro“.

Diese Person hat die Frage mit folgenden Worten begründet: “Ihr tut ja nur ein bisserl tanzen. Wofür braucht man da ein Büro?

Diese kleine Geschichte ist zu einem Insider in unserem Organisationsteam geworden (jaaa, wir haben auch ein Organisationsteam, das in diesem Büro arbeitet) und wir erwähnen diese Anekdote regelmässig. 

Ach ja, bevor ich es vergesse… Hier sind ein paar unglaublich attraktive Aufgaben, die in einem Tanzschulbüro erledigt werden: Buchhaltung, Lohnverrechnung, Dienstplaneinteilung, IT-Aufgaben, Events- und Kursplanung, Teambesprechungen, usw.

Der Hintergrund dieser verdrehten Wahrnehmung ist vielschichtig, aber ich reduziere es für dich auf die Essenz:

Die Tanzschulen werden oft nicht als richtige Unternehmen gesehen (mit Angestellten, Büros und so).

Bei der oberen Anekdote war ein Teil von uns (der Stolz) quasi beleidigt und der andere Teil war wiederum froh darüber. 

Denn, es ist nicht unbedingt das schlechteste, wenn deine Kunden das Gefühl haben, dass das Erlebnis Tanzschule nicht nach normaler Arbeit aussieht. Das bedeutet wiederum, sie bekommen dieses Gefühl von Freizeit und Entspannung von uns vermittelt. Sehr gut…
Allerdings in Situationen wie in den letzten Wochen dreht sich diese lockere Wahrnehmung von den Tanzschulen gegen uns. 

Wenn meine ich mit uns? 

Alle, die mit einer Tanzschule in irgendeiner Form zu tun haben: Inhaber*innen, Angestellte einer Tanzschule, Kund*innen.
In zweiter Instanz gibt es weitere wirtschaftliche Bereiche wie Ball-Locations, Schüler*innen, Fotografen, Friseure, Musiker, Gastronomen, Kleidergeschäfte etc., die eng mit dem Tanzbereich verknüpft sind. 

Tanzen als wichtiges Lebenselixir 

Die meisten, die diesen Artikel lesen, wissen bereits von der positiven Wirkung des Tanzens auf ihr Leben. 

Es gibt kaum eine Tätigkeit, die Körper, Geist und Seele in einem einzigen Paket ganzheitlich so direkt anspricht. Das Tanzen checkt wahrscheinlich alle Boxen, die uns unser Arzt empfehlen würde, oder?

Wir Tänzer*innen wussten das eben auch schon vorher…
Wir kennen so viele, denen vor allem das Tanzen geholfen hat, aus einer schweren Lebenskrise heraus zu kommen – ob Krankheit, Scheidung, persönliche Krise und hoffentlich auch Corona-Krise! 😉

Für viele Paare ist es die allerbeste gemeinsame Aktivität, bei der sie etwas miteinander gestalten und ihre Beziehung dadurch fördern (und manchmal auch herausfordern 😉).
Das Tanzen bietet uns allen eine fantastische Plattform, mit der wir einen angenehmen und positiven Anschluss an die Gesellschaft finden.
Denn mit einer simplen Frage: “Magst du tanzen?” bei einem Tanz-Abend geht´s schon los. Du bist mitten drinnen, auch wenn du komplett neu in der Stadt bist. 

In den schlimmsten Zeiten unserer Geschichte hat man am meisten getanzt.
Außer in der jetzigen, natürlich. Mehr dazu später…

Tanzen und Tanzschulen als bedeutender Wirtschaftszweig

Das Tanzen und im Speziellen Social Dancing ist mittlerweile ein eigener Industriezweig geworden, der nicht zu vernachlässigen ist. Aber es “bedient” auch andere Industriezweige und das sehen viele nicht. 

Allein, wenn wir die österreichische Ballkultur und die Rolle des Tanzens (bzw. der Tanzschulen) hernehmen, bekommt das Ganze viel mehr an Essenz und vielleicht an Relevanz.
In den letzten Jahren boomte auch der Tanztourismus ordentlich, vor allem durch die vielen internationalen und regionalen Festivals.

Wann wären Conny und ich jemals nach Moskau geflogen? Wahrscheinlich nie. Dennoch sind wir vor ein paar Jahren für eine Woche nach Moskau geflogen, um unsere Tangoskills zu vertiefen. 

Aber auch die Tanzschulen und Studios selbst sind in den letzten Jahrzehnten bedeutungsvolle, ja richtige Unternehmen geworden, mit allem was man sich darunter vorstellt.
Viele haben sogar ein Büro! Das nenne ich Entwicklung! 😬

Spaß bei Seite…

Wie in der Anekdote ganz oben, sehen viele nicht, was alles dahinter steckt, um eine Tanzschule oder ein Tanzstudio erfolgreich zu führen.
Viele staunen z.B., dass wir 50 Mitarbeiter*innen haben. “Echt? Für ein bisserl tanzen?

Der Ursprung dieser Wahrnehmung liegt in der Tatsache, dass die meisten Tanzlehrer*innen und Tanzschulinhaber*innen ihre Arbeit mit einem derartigen Enthusiasmus und einer Leidenschaft nachgehen, dass es eben oft so aussieht, als hätten wir mehr Spaß als die, an die unsere Dienstleistung gerichtet war – unsere Kunden. Gut so!

Das ist normalerweise eine gute Sache. Allerdings in Zeiten wie diesen, ist es weniger gut, wie ich es bereits oben erwähnt habe. 

Warum?

Die Frage des Überlebens

Weil die Tanzbetriebe in dieser Coronakrise zusammen mit ihren Mitarbeiter*innen und auch Kund*innen besonders stark getroffen sind und nicht vergessen werden dürfen. Weder von der Politik noch von der Gesellschaft. 

Dadurch wir Tanzlehrer*innen eben so enthusiastisch unserer Berufung nachgehen, kümmern wir uns viel weniger (eigentlich gar nicht) um die Politik und Lobbying, wie manche andere Berufsgruppen es tun.
Es ist einfach so, egal wo auf der Welt. 

Ein Beispiel – in vielen Bereichen zählen Tanzschulen zur Sparte Tourismus. Man kann sich also vorstellen, wie viel wir in diesen Bereichen im Vergleich zu den Hotels und Gastro-Betrieben an Bedeutung bekommen.
So auch in dieser Krise – die Tanzschaffenden und ihre ausweglose Situation wurden von vielen Entscheidungsträger einfach vergessen.
Unter Tanzschaffenden verstehe ich nicht nur Tanzlehrer*innen im klassischen Sinne und Angestellte einer klassischen Tanzschule, sondern auch Tanzvereine jeglicher Art, Tanzsportler*innen, Tanzfestival-Veranstalter, Tanz-DJs, usw.

By the way, der Begriff Tanzschaffende habe ich von Heidemarie vom fantastischen Podcast “Einfach tanzen” gestohlen. Es ist ein sehr empfehlenswerter Podcast für alle tanzinteressierte. (und vor allem Tanzschaffenden 😬)

Das war eine (unbezahlte) Werbung… zurück zu unserem Thema…

Ich meine das oben wirklich nicht als Kritik an Politik (wow, das reimt sich), denn Conny und ich haben einen großen Respekt vor den Entscheidungsträgern vor allem in solchen Situationen, in denen man so schwer wiegende Entscheidungen in einer sehr kurzen Zeit treffen muss.
Wir wissen, dass man in solchen Situationen nicht an alles und jeden denken kann.

Ich hebe aber hier schüchtern (wenn man mir das jemals glauben kann) die Hand und zeige, dass es uns Tanzschaffende hier auch (noch) gibt. Noch ist ein Wort, dass man unterstreichen muss, denn viele Tanzschaffende werden diese schwere Zeit finanziell nicht überleben können. 

Wollen wir (also die Politik und die Gesellschaft im Allgemeinen) das riskieren, lautet die Frage? Bzw. was muss eigentlich passieren, damit es zu diesem Worst Scenario nicht kommt?

Die mögliche(n) Lösung(en)

Wir Tanzschaffende (das ist echt ein cooler Begriff) sind uns der Gefahren des Tanzens im Bezug auf das Virus völlig bewusst. Vor allem ich als Corona-Genesener sehe das Ganze wahrscheinlich noch etwas kritischer als manch anderer. 

Wir wissen aber alle auch, dass es so wie jetzt nicht mehr lang gut geht. 

Wie bei vielen anderen Unternehmen und Sparten auch, reichen die momentanen finanziellen Hilfestellungen – sofern man diese überhaupt bekommt – bei weitem nicht aus, um Tanzräumlichkeiten zu erhalten. Ja, wir haben die Kurzarbeit beantragt – dennoch ist noch kein Euro an Hilfe geflossen. Somit muss alles noch immer vorfinanziert werden.

Konkret, um diese Betriebe von ihrem Ruin zu bewahren und um die oben genannte Vorzüge des Tanzens auch nach der Krise in die Zukunft tragen zu können, muss es entweder:

1. eine konkrete substanzielle wirtschaftliche Unterstützung seitens der Regierung geben, wenn diese Betriebe nicht vor Sommer aufsperren können, oder

2. einen konkreten Plan eines (Soft)Openings der Tanzschulen und -Studios geben, bei dem die Betriebe natürlich den Vorschriften und Sicherheitsauflagen nachgehen werden.

Was bedeutet Soft-Opening? 

Das bedeutet, dass Privatstunden und Kleingruppen (bis 10 Personen) erlaubt sind, wobei die Paare, die miteinander tanzen aus dem selben Haushalt sein müssen plus viele andere sinnvolle Auflagen, um die Verbreitung des Virus zu verhindern.
Selbst mit dieser Lösung wird es für die meisten Schulen kritisch, da sie ihre gleichbleibende Fixkosten mit viel weniger Umsatz zu decken probieren.

Aber es wäre eine mögliche Übergangslösung.

Sollte das nicht möglich sein, dann muss die Politik eine Lösung finden, wie diese Betriebe die Dauer ihres eigenen Lock-Downs wirtschaftlich überleben.
Was mich schon immer sehr gestört hat war die “mir nix, dir nix-Politik“, als gebe es kein Problem.

Daher nutze ich diese Plattform, um wenigstens ein bisschen Aufmerksamkeit auf diese Thematik zu lenken in der Hoffnung, dass es in die Hände von jemandem kommt, der etwas zu sagen und zu entscheiden hat…

Aber nicht nur Politik kann für eine Hilfe sorgen, sondern du auch! 😉
Am einfachsten und schnellsten geht es mit ein etwas Verständnis und Geduld in Richtung Tanzbetriebe. Der Rest ergibt sich von selbst.

Fazit

Etwas von irgendjemandem zu fordern ist nicht unser Stil. Wir wollen auch nicht kritisieren oder schon gar nicht jammern. 

Wir wollen mit diesem Beitrag auf die positive und oft heilende Wirkung des Tanzens auf die Gesellschaft zeigen.  Wir wollen aber auch die andere (oft unsichtbare) Seite der Tanzschaffenden zeigen, die man vor lauter Freude am eigenen Tanzen oft nicht sieht. Und das muss man auch meistens nicht. 

Die jetzige Situation ist aber nicht meistens.

Denn wir sprechen hier nicht von einer Underground-Gruppierung. Es betrifft Hunderttausende allein im deutschsprachigen Raum, die direkt oder indirekt mit der Tanz-Community zu tun haben und das auch nach der Krise weiter tun wollen.
Es wäre aber eine große Schade, wenn es dann die Strukturen und Locations dazu nicht mehr gäbe…

Also die Antwort auf die Titelfrage lautet: Nein, die Tanz-Community steht nicht an der Kippe – sie ist eigentlich näher dem freien Fall…:-(

Wenn du aber nichts anderes aus diesem Artikel mitnimmst, dann wenigstens weisst du, dass Tanzschulen auch ein Büro haben. 😉

Dance And Make A Difference

Responses

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  1. Liebe Leser, lieber Dado!
    Vielleicht noch ein Zusatz aus meiner Erfahrung: Die Frage “und was machen sie tagsüber” wenn man erzählt hat, dass man Tanzlehrer ist, geht genau in dieselbe Richtung. Das Bewusstsein, dass Tanz nicht nur Berufung, sondern auch Beruf sein kann. Vollzeichtberuf mit 60 oder 80 h die Woche, Unternehmertum, Entscheidung über Investitionen, Mitarbeiter, Veranstaltungen, Events, Gastroplanung, Handel (Tanzschuhverkauf) ist den wenigsten Menschen klar.
    Und wie Dado richtig schreibt, wir die “Tanzschaffenden” stehen nicht nur am Abgrund, nein vor uns tut sich auch noch ein tiefer Krater darunter auf, denn was, wenn wir nicht aufsperren dürfen und was, wenn wir wenn aufsperren dürfen aber erst im Oktober, November oder gar erst 2021? Und wenn schon der große Kastner & Öhler keine Chance hat zu überleben, wenn nicht jetzt schnell eröffnet wird – und der Handel darf jetzt eröffnen – wie sollen wir überleben. Und wenn K&Ö keine Rücklagen bilden konnte, wie sollen Tanzschulen dies schaffen? Es bedarf rasch einer Lösung – natürlich einer realistischen – aber wir müssen zumindest mit Auflagen beginnen können und wir brauchen darüber hinaus eine finanzielle Hilfe. Entweder direkt oder zumindest über eine Reduktion der Mehrwertsteuer of 10% bei Erwachsenen und eine MWSt Befreiung fürKinder und Jugendliche.
    Was wir daher ganz dringend brauchen ist die Unterstützung aller Tänzerinnen und Tänzer, damit wir alle auch nach der Krise wieder mit Freude unserer Berufung und unserer “Tanz”Friede nachgehen können. denn sonst könnte es auf lange Zeit keine “Tanzschaffenden” mehr geben.

    1. Tjaaaa, das sind noch klarerererere Worte von unserem fleißigen Präsidenten des Ö-Tanzlehrerverbandes!
      Du hast natürlich noch viel mehr Einblick in die Situation. Na hoffentlich, erhört uns das Universum oder zumindest ein paar wohl gemeinte Politiker, die für einen Unterschied sorgen können.
      Wir sind zuversichtlich…noch!

  2. Lieber Dado,

    100 Prozent Zustimmung. Auch in D blendet die Politik fleißig dieses Problem der Tanzschulen aus. Wahrscheinlich denkt sie auch hier, dass Tanzen “nur Spaß” ist. Doch das ist richtige Arbeit. Vor meinen Tanzlehrern und Tanzlehrerinnen habe ich höchsten Respekt. Sie haben es geschafft, mir etwas beizubringen. Dabei war ich am Anfang “gelenkig wie eine Brechstange” (LOL). Die Tanzschule ist mein zweites Zuhause geworden und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betrachte ich als Freunde.

    Ich sehe aber auch, dass sie täglich hart arbeiten und multitaskingfähig sind. Das “Büro meiner Tanzschule” ist kein abgeschlossener Raum, sondern im Vorraum integriert. Dadurch bekommen wir mit, was so alles gemacht werden muss, damit “der Laden läuft”. Respekt.

    Wir haben in D einen Sportminister (Horst Seehofer). Doch den scheint das Problem nicht zu interessieren. Es ist traurig, denn Tanzen ist mehr als ein bisschen rumhüpfen auf der Tanzfläche. Ein Tanzabend kann sportliche Höchstleistung sein. Dass es auch extrem gesund ist für die Seele, wissen wir ja alle.

    Mir fehlt mein Hobby jeden Tag. Ich hoffe, dass es bald wieder losgeht.

  3. Ich überspringe die mehrseitige Darstellung wie wichtig Tanzen, Sport und soziale Kontakte sind und komme gleich direkt zu dem was ich von unserer Regierung am meisten vermisst habe:

    Das “Für unsere Gesundheit”.
    Was ich bekommen habe war: “Gegen die Krankheit”.

    Ich halte das pauschale “StayHome” nicht förderlich für Gesundheit beziehungsweise Immunsystem und bin mir sicher das im Zuge der ganzen Maßnahmen viele Dinge die auch oder gerade in Zeiten wie diesen gut und sinnvoll gewesen wären durch die Verbote einfach miterschlagen wurden.
    Selbstverständlich war zu Beginn eine Notbremse notwendig. In Anbetracht der Gefahr und den wenigen Informationen wäre es fahrlässig gewesen nichts zu tun.
    Aber inzwischen sollte es nicht mehr “StayHome” heißen, sondern “Get the fuck up and go out into the sun, move, dance, eat healthy, etc … ” (Mit entsprechenden Abständen, etc …).
    Und bis zu einem gewissen Grad lässt sich das vermutlich auch auf die Wirtschaft umlegen.

    Verbieten ist einfach.
    Aber mit einer einfachen Lösung werden wir hier nicht weiterkommen.